Ohrenblicke und Hörbehinderung – ein Widerspruch?

Ich erinnere mich dunkel an eine Filmkomödie, die ich irgendwann in den 80ern gesehen habe, sie hieß „Die Glücksritter“. Die Protagonisten waren ein Gehörloser und ein Blinder, die sich gegenseitig perfekt ergänzten und somit trotz ihrer Behinderung den Gegnern überlegen waren. Was im Hollywoodfilm gut funktioniert, kann im echten Leben Probleme mit sich bringen: Die Welt eines Blinden stellt sich völlig anders dar als die eines Gehörlosen – der Blinde stößt vor allem im praktischen Alltag auf Hürden, während beim Gehörlosen eher die Kommunikation das größte Problem ist. Letztere ist aber Voraussetzung für eine erfolgreiche Teamarbeit.

Computer und Internet – neue Chancen für Hör- und Sehbehinderte

Der Computer macht Menschen mit Hör- oder Sehbehinderung das Leben heute wesentlich leichter, die Technik kann die eingeschränkte Sinneswahrnehmung zumindest teilweise ausgleichen. Blinde benutzen bei der Arbeit am PC entweder eine Sprachausgabe oder eine Braille-Zeile, die den Bildschirmtext in Blindenschrift übersetzt. Für Hörbehinderte ist das Internet als vornehmlich visuelles Medium gerade für die Kommunikation von großem Nutzen. Ein Blinder kann heutzutage mit einem Gehörlosen chatten, ohne dass der eine etwas von der Behinderung des anderen erfahren muss. Umgekehrt können aber auch Behinderte mittels Internet anderen Menschen Einblicke in ihr Leben ermöglichen, aufklären, Vorurteile abbauen oder sich auch untereinander vernetzen und austauschen.

Ist das Internet ein Segen in Sachen Chancengleichheit? Das könnte es sein, wenn es nicht hier und da immer noch Barrieren gäbe, die meist von unbedarften Webmastern in die Online-Welt gesetzt werden. Ein paar wichtige Grundregeln, wie man sein Blog für Blinde barrierefrei gestaltet, hat jüngst der blinde Blogger Heiko Kunert in einem Gastbeitrag im Blog von Julia Emde beschrieben. Da ich mich bereits bei der Gestaltung meines Lieblingshörerforums vor zwei Jahren mit Barrierefreiheit auseinandergesetzt, mich mit Blinden darüber ausgetauscht und sogar selbst einen Screenreader getestet habe, sind die meisten dieser Regeln für mich inzwischen in Fleisch und Blut übergegangen und selbstverständlich geworden – nicht ganz uneigennützig, denn Blinde sind eine bedeutende Zielgruppe des Ohrenblicke-Projekts und ich möchte den Austausch mit ihnen nicht mehr missen.

Echte Barrierefreiheit sollte nicht bei Blinden aufhören

Schon länger plane ich für den Ohrenblicke-Podcast eine Reihe über die Wahrnehmungswelt von Blinden – für mich ein unglaublich spannendes Thema, was natürlich auch mit meiner engen Beziehung zur Welt des Hörens zusammenhängt. Umgekehrt habe ich schon viel Post von Blinden erhalten, die sich durch mein Audiomagazin besonders angesprochen fühlen – der Ohrenblicke-Podcast und die Welt der Blinden sind mehr als kompatibel. Ich gebe zu, dass im Gegensatz dazu meine Bemühungen bezüglich Hörbehinderter bislang gegen Null tendierten. Ein Projekt über die Welt der Klänge und Geräusche ist für Menschen mit schwachem oder gar keinem Hörvermögen im Grunde uninteressant, dachte ich. Warum sollte sich ein Schwerhöriger meinen Podcast anhören, wo es doch im Internet ein fast unendlich großes Leseangebot gibt?

Trotzdem hatte ich hin und wieder das ungute Gefühl, eine Gruppe von Menschen auszuschließen, denn es ist nicht so, dass das Thema Hörbehinderung für mich keine Bedeutung hätte. Spätestens als ich vor einigen Jahren im Kino den genialen Dokumentarfilm „Touch the Sound“ über die schwerhörige Ausnahmemusikerin Evelyn Glennie gesehen hatte, wurde mir bewusst, dass Hörbehinderung und Klangwahrnehmung durchaus miteinander vereinbar sein können. Aber wie macht man einen Audio-Podcast barrierefrei?

Wie der Austausch mit Hörbehinderten mich inspiriert hat

Die besten Lösungen sind oft so einfach und man muss manchmal erst darauf gestoßen werden. Indirekte Beihilfe dazu leistete Alexander Görsdorf, der mit seinem Blog „Not quite like Beethoven“ über sein Leben mit Schwerhörigkeit und alles, was damit zusammenhängt, berichtet. Seine Bemerkung in einer Kommentar-Diskussion, ich hätte eine „interessante Website“ hat mich zum Nachdenken gebracht, wie ein Hörbehinderter wohl meine Homepage wahrnehmen würde, obwohl der wichtigste Teil, nämlich der Audio-Podcast, nicht für ihn zugänglich ist.

So entstand die Idee, meine Folgen auch in Textform anzubieten. Neben dem Sprechertext sollten auch die Atmosphären, die Geräusche und die Musik detailreich beschrieben werden, damit der Charakter des Podcasts möglichst eins zu eins in die Schriftform übertragen wird. Gestern habe ich also erstmals eine Ohrenblicke-Folge mit Transkription veröffentlicht und war mir noch reichlich unsicher, ob sich überhaupt noch mal ein Hörbehinderter auf meine Seite verirren würde, geschweige denn, ob er etwas mit meiner transkribierten Folge anfangen könnte. Wie freudig habe ich dann zur Kenntnis genommen, dass Alexander Görsdorf sich nicht nur mein Skript durchgelesen hat, sondern sich trotz seiner Höreinschränkungen auch einige Podcast-Folgen angehört und darüber gebloggt hat! Ich hoffe, dass dadurch weitere Hörgeschädigte auf mein Projekt aufmerksam werden und sich dafür interessieren, denn das motiviert mich sehr, die Mehrarbeit in Kauf zu nehmen und weitere Folgen mit einer Transkription zu ergänzen, vielleicht sogar auch ein paar der alten Folgen noch in Textform zu veröffentlichen.

Wahrscheinlich ist es höhere Fügung, dass meine erste Transkription einer Ohrenblicke-Folge mit der ersten Folge über die Wahrnehmungswelt von Blinden zusammenfällt und die beiden doch so verschiedenen Welten der Blinden und Gehörlosen dadurch ein wenig enger zusammenrücken.

 

Noch zwei Anmerkungen

  1. Mir ist bewusst, dass die Wörter gehörlos, hörbehindert, schwerhörig, taub etc. nicht immer dasselbe meinen und ich sie aus Gründen der Abwechslung ein wenig durcheinandergewürfelt habe, zumal mir die Unterscheidungen noch längst nicht wirklich klar sind. Ich muss in dieser Hinsicht noch Einiges lernen und würde mich über einen regen Austausch mit Gehörlosen, Hörbehinderten, Schwer-, Leicht-, Ange- und Ungehörigen sehr freuen! :)
  2. Alexander Görsdorfs Blog „Not quite like Beethoven“ ist für den Grimme Online Award nominiert. Beim Publikumspreis kann für ihn abgestimmt werden. (Update: Die Abstimmung von 2010 ist beendet.)

10 Kommentare zu „Ohrenblicke und Hörbehinderung – ein Widerspruch?“

  1. Vielen Dank, dass gerade Du Dich daran machst, dieses Thema einmal von der anderen Seite aufzurollen.

    Normalerweise kümmert man sich als Webentwickler mehr darum, den Quelltext für Screenreader aufzubereiten. Der erste Gedanke, der mir bei dem PDF zur neuesten Folge kam war: Warum macht er das nicht in HTML, da gäbe es doch viel mehr Möglichkeiten, die Inhalte semantisch auszuzeichnen? Bis ich merkte, dass das völlig am Thema vorbei gehen würde. :)

    Mach weiter so, auch wenn der Mehraufwand manchmal weh tut. Es ist definitiv ein Schritt in die richtige Richtung. Mit der Zeit findest Du sicher auch Wege, das Skript gleich in der Planungsphase einer Folge schneller aufzubereiten.

  2. Ja, schließe ich mich an und würde ich auch sagen: Schau mal, ob und wie Du es so machen kannst, dass es Dir am wenigsten Mühe macht.
    Auf die genaue Beschreibung, das Wortesuchen für die Klänge würde ich nicht allzuviel Energie und vor allem Adjektive verschwenden. M.E. reichen da knappe Angaben was man ungefähr hört, also: Worauf man alles horchen kann. Oder was man versuchen kann zu unterscheiden. Dann könnte man Deine Seite auch als Hörtraining für CI-Träger empfehlen.

  3. @Bert: Wenn ich mein Transkript auch noch für Screenreader optimieren würde, dann fehlen eigentlich nur noch Auffahrrampen für Rollstühle, damit man mir das Etikett „Behindertenfreundlichstes Webprojekt mit Hang zur Überperfektionierung“ verleihen kann. ;)

    Ich hatte ursprünglich sogar nach einer Möglichkeit gesucht, den Text in HTML-Form zu veröffentlichen, um ihn besser in die Website zu integrieren. Ich habe aber keine praxistaugliche Lösung für die Einbindung gefunden, ohne dass die Transkripte die Übersicht im Blog sprengen würden. Außerdem ist Schwarz auf Weiß bei langen Texten einfach augenfreundlicher (zumindest für „Normalsehende“) und man kann sich das Skript auch gleich ausdrucken, wenn man will.

    @N.q.l.B.: Das hängt natürlich von der Zielgruppe ab. Mir war nämlich zuerst gar nicht bewusst, dass du den Podcast überhaupt hören kannst und ich hatte beim Transkribieren in erster Linie Menschen im Sinn, die die Folge nur lesen. Die Hauptarbeit war gar nicht das Beschreiben der Geräusche (was mir am meisten Spaß macht), sondern das Transkribieren des O-Tons am Schluss. Der Sprechertext ist ja ohnehin geskriptet, der macht keine zusätzliche Arbeit.

    Falls sich dieses Projekt wirklich herumsprechen sollte (ich bin da immer noch skeptisch, mein Forum für Blinde und Sehende war leider langfristig auch nicht erfolgreich), dann würde ich meine Hörer fragen, ob sie nicht mitarbeiten wollen und z.B. alte Folgen transkribieren können. Man muss ja auch nicht alles alleine machen. ;)

  4. Nach einer Weile bißchen Marktforschung ist sicher der beste Weg, ja. Fürs Crowdsourcing-Transkribieren wäre es natürlich am coolsten wenn man, um da mitzumachen, nicht alles machen müsste, sondern vielleicht nur einen Absatz. Vielleicht wäre sowas am besten per Wiki machbar, falls man das hier ein- oder anbingen kann.

    Jedenfalls: :-)

  5. ja, ja, ja!!!!!!!!!!!!!!!
    dass ist klasse.
    Alte Folgen kann ich auch nicht hören. Am liebsten wäre mir, wenn ALLE folgen so wären.

  6. Hallo Nick, ich bin gerade etwas verwirrt, wenn du der Nick bist, den ich kenne, dachte ich, dass du blind wärst, nicht gehörlos? Dann müsstest du die Folgen doch hören können. Klär mich auf!

    Mein Stand ist derzeit, dass ich es versuchen will, allein aus Prinzip und um darauf aufmerksam zu machen, dass Barrierefreiheit nicht nur Blinden dienen muss. Und natürlich die Herausforderung, den Widerspruch aufzulösen, dass ein Audio-Magazin zum Thema Hörwelten auch Hörbehinderte erreichen kann.

    Es wäre natürlich schön, wenn ihr mich ein wenig unterstützen würdet: Die Hörenden, indem sie mir bei der Transkription helfen (ich werde in der nächsten Folge erklären, wie ich mir das vorstelle) und alle anderen, indem sie die Werbetrommel für dieses Projekt rühren, damit sich die Arbeit auch lohnt.

    Besonders spannend fände ich es, wenn blinde Hörer Texte für Gehörlose tranksribieren würden. Das hätte schon symbolischen Charakter. :)

  7. Das schon, aber sie haben nicht alle den gleichen Nachnamen und benutzen den gleichen Internetzugang. ;)

    Aber macht ja auch nichts, ich hoffe, dass in den kommenden Folgen Blinde genauso auf ihre Kosten kommen wie Gehörlose. Der nächste Schritt zur Weltherrschaft wäre dann ein mehrsprachiger Podcast. ;)

  8. ach so, na ja ich weiss nicht, was ich fpr dich transkribieren kann.
    Denn ich miss ehrlich zugeben: wenn man blind ist , dauert das schreiben am pc viel länger und ausserdem strengt es an.
    und wenns dann auch noch audio-on-text ist, ich weiss nicht , ob ich etwas machen kann.
    ach und nochwas: hatte der andere nick auch die selbe email adresse wie ich.
    Ich habe nämlich nur eine
    wenn das der fall ist dann weiss ich nicht, was f
    dernick, kläre mich auf, was wird hier gespielt
    nick

  9. Sehr interessant.
    Ich kann mich den Aussagen von Bert nur anschließen. Als Webentwickler hat man in erster Linie immer die Aufbereitung für Screenreader im Auge und verliert dabei dann oft andere Aspekte aus dem Blick.
    Aber solche Artikel zeigen mir dann auch immer, dass ich eben trotz nun inzwischen schon über zweijähriger Beschäftigung mit dem Thema noch längst nicht alles verinnerlicht habe.
    Danke für den Artikel!

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